Chaos und Methode
"Hannover spielt" 2013
Von Uli Hacke
Es gibt dieses geflügelte Wort vom Chaos und dem Genie und irgendeiner Methode, die im Chaos stecken soll. Oder so ähnlich. Wenn ich nur meine Notizen und den Plan dazu wiederfände... "Hannover spielt" funktioniert ungefähr so. Und Spaß macht es auch noch!
Manche Dinge lassen sich wahnsinnig schwer erklären und für den Außenstehenden erscheinen sie mitunter ohne Sinn und Verstand. Während das stets gern zitierte "Auge des Betrachters" über die bunte und durcheinander gewürfelte Szenerie in der hannoverschen Bürgerschule schwebt, erblickt es zwar nur wenig, was auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheint, dafür aber auch auf jede Menge glücklicher Gesichter. Hier hat das Chaos in der Tat Methode und es ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, eine Veranstaltung wie "Hannover spielt" ans Laufen zu bringen.
Und es funktioniert erstaunlich gut - immerhin blickt die Spieleconvention in diesem Jahr zwanzig Jahre zurück. Viele der heutigen Spielefreaks haben noch Windeln getragen, als sich "Hannover spielt" längst etabliert habe. Und die bebrillten Nerds, die die Quellenbücher ihrer Rollenspiele auswendig aufsagen können, sind noch immer die gleichen geblieben. Vielleicht etwas umfangreicher in der Taillengegend und etwas weniger Haaren auf dem Kopf. Aber sie spielen noch immer DSA ("Das schwarze Auge") in der 3. Edition von 1990. Dieses System ist einfach nicht tot zu kriegen - und daran haben die Hannohirrim selbst einen gehörigen Anteil. Und das ist auch gut so.
Überhaupt stehen Rollenspiele bei "Hannover spielt" seit Jahren hoch in Kurs und es werden unzählige Spielrunden angeboten - angefangen vom Einsteiger, der immerhin schon mal einen Würfel gesehen hat bis zum Semiprofi, der generös die Rollenspielwelten wechselt wie andere Leuten ihre Hemden. Und es braucht ja auch nicht viel, um selbst mitzumachen und in eine Fantasiewelt abzutauchen: Papier, Stift, Vorstellungsvermögen und ein paar Würfel (und auch die kann man manchmal weglassen). Ein Spielmeister (Gamemaster), der den roten Faden vorantreibt und Mittler für Spieler und Welt ist, mimt quasi den Regisseur. Dann kann es auch schon losgehen und das Ergebnis ist neudeutsch vermutlich ein "interactive community movie event". Oder so. Rollenspieler sehen das wesentlich locker: sie wollen vor allem Spaß und ein spannendes Erlebnis, bei dem es ganz egal ist, wo die Mitspieler herkommen, welchen Beruf und sozialen Status sie haben oder gar wie sie heißen.
Eine wahre Koryphäe und eine Art wandelnder Lexikonratgeber aus dem Rollenspieluniversum ist der Amerikaner Robin D. Laws, der natürlich ebenfalls in Hannover vor Ort ist. Seine "Robins laws of good game mastering" (dt. in etwa "Robins Regeln" und als "Gutes Spieleleiten" im Buchhandel erschienen) sind so etwas wie die Bibel für Rollenspieler und haben schon ganzen Heerscharen von Gamemastern aus der Bredouille geholfen und Spielgruppen fantastische Abende beschert. Das kurze und locker geschriebene Wert fasst alles zusammen, was man als Basisausstattung zum Spieleleiten braucht und ist so etwas wie eine Pflichtlektüre für angehende Spielmeister. Bei "Hannover spielt" konnte man Robin mit Tausenden von Fragen löchern, auf die er erstaunlicherweise auch fast immer eine profunde Antwort wusste.
Rollenspieler sind komisch - und das wissen sie auch. Sie gehören zu den liebenswerten Typen, die auch mal kräftig über sich selbst lachen können. Einer von ihnen ist John Kovalic. Wie Robin kommt er aus den Staaten und ist in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal bei "Hannover spielt" zu Gast. John ist ein feiner Beobachter und genialer Zeichner. Was er am Spieltisch erlebt, kann er in kurzen Comicstrips zusammenfassen, die einfach nur die Quintessenz eine Spielesession sind. Sein Humor und seine einfache und klare Strichführung sind einzigartig und doch hochkomplex. Es wundert nicht, dass er als zeichnerisches Vorbild den Schöpfer der "Peanuts", Charles M. Schulz nennt. In der Szene haben seine Comics ("Dorktower") längst Kultstatus. Und wenn so einer dann in Hannover herumrennt, für jeden Witz und jede Frage zu haben ist und einem Comicbücher, Karten oder was-auch-immer signiert und vollzeichnet, dann gibt es kaum noch etwas, was des Geeks Herz höher schlagen ließe. Das ultimative Panel war denn auch die Veranstaltung "Frühstücken mit John und Robin", bei dem frischgebackene Waffeln gereicht wurden und ein jeder die beiden Hauptprotagonisten mit Fragen löchern konnte, dass die beiden kaum selbst zu ihrem wohlverdienten Frühstück kamen.
Bei all dem Chaos aus Spielen, Nerds, Geeks und sonstigen mehr oder weniger Verrückten haben wir vom Tolkienstammtisch (oder besser: der Deutschen Tolkien Gesellschaft e.V., DTG) uns natürlich sehr wohlgefühlt. Es stimmt schon: wer gerne spielt (vor allem Rollenspiel) hat in der Regel auch schon von Tolkien gehört, wenn er den Professor nicht eh schon schätzt und seine Bücher liebt. In eine arte-Produktion wurde Tolkiens "Der Herr der Ringe" unlängst als die "Bibel der Nerds" bezeichnet. Da steckt viel Wahres drin, auch wenn sich die Zeiten seit Erscheinen der Ring-Trilogie in den 50er Jahren bis hin zum "Hobbit", dem nunmehr vierten Kino-Blockbuster aus Mittelerde, gewaltig geändert haben. Da passiert es schon mal, dass jemand was mit dem Namen "Peter Jackson" anfangen kann - nicht aber mit "J.R.R. Tolkien"...
Unser Infostand für die DTG wurde regelmäßig besucht (oder heimgesucht) und wir konnten viele gut Gespräche führen. Ganz nebenbei ist so eine Convention der perfekte Ort, alte Freunde wieder zu treffen (oder neue zu gewinnen) und Kontakte zu pflegen. Man darf halt nur nicht alles so ernst nehmen oder etwa versuchen, das stets allgegenwärtige Chaos zu entwirren. Das führt zu nichts - belässt man es einfach dabei, klappt alles viel besser.
Geek oder Nerd zu sein, macht unglaublich viel Spaß. Kostprobe gefällig? Am Samstagabend gab es im Kino nebenan extra für die Con den Film "Fanboys". Der 2008 entstandene Streifen ist quasi ein Hommage und eine kleine Verbeugung vor all den verrückten Fans und spielt mit viel Augenzwinkern und hunderten von Anspielungen gekonnt mit der leicht schrägen Wahrnehmung der Nerds. Zur Handlung: vier Freunde beschließen eine 2000-Meilenfahrt quer durch die USA, um in die Skywalker Ranch von George Lucas einzubrechen, wo der unveröffentlichte Rohschnitt von "StarWars: Episode I" lagert - denn einer von ihnen ist unheilbar erkrankt und wird den Tag der Kinopremiere nicht mehr erleben... Sie können das verstehen und es klingt in Ihren Ohren prima? Fantastisch, dann sind Sie einer von uns... :-)