Betreutes Zeitreisen

Besuch auf der Reenactor Messe Minden

Am einfachsten ist die Zeitreise mit der Deutschen Bahn: nicht, weil sie etwa so lange braucht, sondern weil uns der Regionalexpress fast direkt vor das Veranstaltungsgelände in Minden bringt und wir sofort loslegen können.

Der Tag fängt gut an, denn die Eintrittspreise sind erfreulich niedrig, gerade mal sechs Euro kostet das Tagesticket für die Reenactor Messe, eine Kombikarte für das Wochenende ist für zehn Euro zu haben. So mancher Mittelaltermarkt kostet um ein Vielfaches mehr.

Wir beginnen unseren Rundgang in den Verkaufshallen - großen Bierzelten - und stecken sofort im Trubel des zahlreichen Händler. Hier herrscht richtige Messeatmosphäre, angeboten wird so ziemlich alles, was man zum Reenactment braucht. Was ist das eigentlich? Wenn man so möchte, ist alles ein großes Spiel, jedoch mit ernsthaftem Hintergrund. Es geht darum, geschichtliche Ereignisse oder Episoden möglichst authentisch nachzuspielen und dabei Geschichte anschaulich zu machen. Die Vergangenheit wird lebendig und man kann sie direkt erleben. Wie war das denn im Mittelalter? Was wiegt so eine Ritterrüstung?

Reenactment will auf Grundlage überlieferter Quellen ein historisches Ereignis nachspielen und die Vergangenheit rekonstruieren. Der Vorteil: die Intentionen der ursprünglich beteiligten Akteure lassen sich durchspielen und nacherleben. Modernes Reenactment setzt dabei auf Akkuratesse und nimmt den wissenschaftlichen Ansatz in den Fokus. Längst geht es nicht nur um das Nachstellen historischer Schlachten - zivile Inszenierungen sind ebenso Bestandteil. Allein deutschlandweit gibt es zahlreiche Organisationen und Vereine, die sich das Reenactment auf die Fahnen geschrieben haben. Auch kommerzielle Gruppen treten vor Publikum auf. Man muss ein bisschen aufpassen, um hier die unterschiedlichen Begrifflichkeiten nicht durcheinander zu bringen. LARP (Live Action Roleplay), Mittelaltermärkte ("Histotainment") und Reenactment sind keinesfalls das Gleiche!

Aber zurück nach Minden: der überdachte Innenbereich ist ganz den Händlern und Anbietern vorbehalten. Es gibt Stoffe, Kleidung, Knöpfe, Werkzeug, Haushaltsgegenstände, Kunst, Waffen - oder anders ausgedrückt: man muss schon etwas Phantasie mitbringen, um auf etwas zu kommen, das so oder ähnlich in Minden nicht zu haben ist. Die Messe ist international, oft ist Englisch als Verkaufssprache zu hören und dank der Nähe zu Holland sind viele niederländische Händler dabei. Allein der Besuch der Hallen ist eine kleine Zeitreise und man ertappt sich schnell dabei, im Geiste auszurechnen, was man sich hier alles Schönes kaufen könne, auch wenn man selbst kein Reenactor ist, sondern vieles einfach "nur" schön findet.

Im Außenbereich widmen sich viele Stände ganz dem leiblichen Wohl und wie man es am besten fördern kann. Darüber hinaus zeigen hier die unterschiedlichsten Gruppen ihr Können. Lange bleiben wir bei "Naturerlebnis Greifvogel" stehen und bewundern Eulen und Falken aus der Nähe. Die Falkner aus Hürth erklären die Besonderheiten und demonstrieren die Flugkünste ihrer Vögel. Etwas weiter locken die "Spezereyen des Orients", hier werden Seifen, Gewürze und andere wohlriechende Dinge feilgeboten. Allein die Auswahl an Pfeffersorten ist riesig und kann auch probiert werden.

Spannend sind die Erklärungen des römischen Centurios, der mit der Cohorte Opladen angerückt ist und ein Feldlager in Minden aufgeschlagen hat. Direkt dahinter befindet sich ein hölzerner Festungsturm, der regelmäßig von Kindern eingenommen wird, die sich unerschrocken auf den außen angebrachten Tritten bis in mehrere Meter Höhe vorwagen. Die Verteidiger können ihnen kaum etwas entgegensetzen, denn statt brennenden Pechs - im Mittelalter durchaus üblich - schütten sie freundlicherweise nur Strohhalme auf die Angreifer. Das juckt höchstens ein wenig. Am Südende befindet sich der Streichelzoo mit vielen Tieren, die man früher als Haustiere gehalten hat.

Das fröhliche Markttreiben draußen hat mit dem eigentlichen ernsthaften Reenactment wenig zu tun, hier steht ganz klar der Spaß im Vordergrund. Auch die Fantasy kommt nicht zu kurz, so laufen beispielsweise Feen und Baumgeister durch die Menge. Im Laufe des Nachmittags füllt sich das Geländer und die Besucher sind sichtlich angetan. Genau wie wir. Und im nächsten Jahr sind wir bestimmt wieder mit dabei!