Wasser des Lebens

Tolkien selbst hat wohl keinen Whisky getrunken - aber das macht ja nichts. Seit vielen Jahren beginnt das Tolkien Thing mit besonderen Genüssen. Und einer mehr oder weniger festen Gruppe, die das "Wasser des Lebens" absolut zu schätzen weiß.

28. Juli 2022

Von Uli Hacke

Es ist schon eine Wissenschaft für sich, einen Whisky zu verkosten. Welche Farbe hat, wie bewegt er sich im Glas? Ist die Flüssigkeit leicht ölig und zieht "Beine" (legs), wenn man das Glas leicht kippt? Und dann die Nase: unzählige Sinneseindrücke gilt es zu beschrieben. Jeder Whisky riecht anders. Experten wissen, dass hier das Fass seine Spuren hinterlassen hat, in dem der besagte Tropfen viele Jahre herangereift ist.

In Gemeinschaft all diese Noten zu erkennen, in Worte zu fassen und dann - ganz langsam - den Whisky zu probieren und darüber hinaus zu erleben, wie er genüsslich die Kehle herab rinnt, das sind die Zutaten für ein stimmungsvolles Tasting. Manchmal kommen noch große Geschichten dazu.

In diesem Jahr haben wir die Reise Ringgemeinschaft durch Mittelerde kulinarisch begleitetet und im Vorfeld überlegt, welcher Whisky an welche Station passen würde. Den Anfang macht dabei das Auenland, wo wir in Gedanken gemütlich in Bilbos (bzw. jetzt Frodos) Hobbithöhle am Beutelhaldenweg am Kamin beisammensitzen und gemeinsam die Gläser erheben. Im Prinzip gibt es bei den Hobbits alles, was man zur Whiskyherstellung braucht. Die Bedingungen hier gleichen denen in Tolkiens Heimat Oxford. Dabei kommt ein angenehmer aber nicht allzu komplexer Whisky heraus, der im unserem Falle durch den Auchentoshan Blood Oak repräsentiert wird. Wer sich neu in der Whiskywelt bewegt, wird diesen Malt aus den schottischen Lowlands als Einsteiger zu schätzen wissen.

Weiter geht es zu den Elben - zunächst nach Rivendell (oder Bruchtal) ins Letzte Heimelige Haus vor den Nebelbergen, später weiter in die Wälder Lothlóriens. In Elronds Quartier verkosten wir den aus Irland stammenden Redbreast Single Pot Still Sherry Finish in der Lustau Edition. Man merkt: die Elben haben ein ganz anderes Verständnis von Whisky als die Hobbits (und natürlich auch ein anderes Verständnis von Zeit). Komplexe Aromanoten aus dunklen Früchten und Marzipan mit einem schönen Abgang führen uns in der Beschreibung zum geliebten englischen Ausdruck "sophisticated", der sich so schwer übersetzen lässt.

Am Caras Galadhon - dem "Herz des Elbentums" - probieren wir einen Cardhu (Schottland, Speyside) als Fassabfüllung mit starken 56 Volumenprozenten. Ein wahres Füllhorn von Obstnoten tut sich hier auf und man meint, von ferne sphärische Elbengesänge zu hören. Dabei vergisst man glatt, den Whisky mit Wasser zu verdünnen und stellt spätestens nach dem zweiten Schluck fest, dass er das auch gar nicht nötig hat. Genau wie die Gefährten will man diese wunderbare Gegend gar nicht wieder verlassen, aber am Horizont locken schon die Reiter von Rohan und geleiten uns in Richtung der Goldenen Halle von Meduseld.

Auch die Rohirrim verstehen etwas von Fassabfüllungen, knapp vierundfünfzigeinhalb Volumenprozent bringt der 2011er Glen Garioch Dimensions ins Glas, der hier an die weiten Graslandschaften Rohans und die sanften Hügel im Osten Schottlands erinnert. Geschmacklich dominieren hier Getreidenoten, (unreife) Früchte, süße Vanille und Cerealien. Mehr als die Hälfte der Reise ist geschafft und immer wieder erklingt der Ruf, neben dem erquickenden Lebenswasser auch ja ausreichend "richtiges" Wasser zu sich zu nehmen. Langsam hat sich auch die Atmosphäre übe dem Tasting verändert: weil sich das Wetter als nicht allzu verlässlich herausgestellt hat, sitzen die Whiskyliebhaber auf dem "Heuboden" der Rittergutsschänke, wo sich die Fenster nicht öffnen lassen - statt dessen breiten sich unzählige whiskygeschwängerte Schwaden aus, die vermutlich ein Hochgenuss sind für all diejenigen Engel, die sich sonst in den schottischen Destillerien herumtreiben und den einen oder anderen "Angels Share" zu sich nehmen.

Die nächste Station ist Minas Tirith, die Hochburg der Menschen in Gondor. Im richtigen Leben kommt der Royal Brackla (einer der "Last Great Malts") aus der gleichnamigen Destillerie im schottischen Nairnshire knapp 25km östlich von Inverness. Und wir wären nicht die Deutsche Tolkien Gesellschaft, wenn wir dazu nicht einen literarischen Vergleich anbrächten: genau wie vor den Toren von Minas Tirith einst die Schlacht auf dem Pelennor stattgefunden hat, gab es auch in Nairnshire ein vergleichbares Ereignis. 1746 trafen im nahe gelegenen Culloden Moor rund 5.000 aufständische Jakobiten unter Bonnie Prince Charlie auf fast 9.000 britische Soldaten unter Wilhelm August von Cumberland - die Highlander wurden vernichtend geschlagen und Charlie musste fliehen. Das Traditional "Loch Lomond" erzählt noch heute von seiner abenteuerlichen Fahrt bis auf die Insel Skye. Unser 16jähriger Whisky dagegen entführt uns in die glorreichen Tage der Königsstadt "mit ihren sieben Mauern aus Stein, so mächtig und alt, dass es schien, als seien sie nicht erbaut worden, sondern von Riesen aus dem Gebein der Erde herausgehauen worden."

Auch am Schicksalsberg im Land Mordor (wo die Schatten droh'n) wird am "Ende aller Dinge" Whisky getrunken. Aber was passt zu einem rauchenden Berg, zu Feuer und Asche? Die Antwort liefert der Longrow Peated aus der schottischen Whisky-Stadt Campbeltown auf der Halbinsel Kintyre. Und obwohl in diesem Tropfen Holzrauch, Asche und Schwefelnoten dominieren, trinkt er sich doch ausgesprochen cremig und wird, je länger man ihn auf der Zunge hat, immer "zivilisierter". Grüner Pfeffer und Bitterorangen sind zu schmecken. Ein herausragender Whisky, von dem man geradezu hoffen möchte, dass Samweis ein kleines Fläschchen dabei hatte und etwas davon seinem Herrn Frodo einzuflössen vermochte - die Mission war erfüllt, der Ring vernichtet. Die Hobbits hätten sich diesen Whisky mehr als verdient.

Das Ende unserer Reise liegt im Westen an den Grauen Anfurten. Während wir vom Seehafen Mithlond den Elbenschiffen hinterher blicken, die langsam am Horizont verschwinden, schwenken wir unsere Gläser und genießen den ebenfalls aus Campbeltown stammenden Glen Scotia Peated in der Limited Edition. Mit seinen gerade einmal acht Jahren bildet er einen wunderbaren Kontrast zur jahrhundertealten Geschichte der Elbenbauten, die vor unserem inneren Auge Gestalt angenommen haben. Diesen maritim anmutenden und geschmacklich komplexen Whisky mit seinen fruchtigen Noten hätte damals auch Círdan der Schiffbauer wertgeschätzt.

Sieben Whiskys und damit sieben Stationen einer langen Reise liegen damit hinter uns. Und welcher Whisky war nun der beste? Die Frage lässt sich so nicht beantworten. Jeder von uns schmeckt oder riecht etwas anderes und gibt seinem ganz persönlichen Lieblingswhisky den Vorzug. Halten wir uns statt dessen an die alte schottische Weisheit, welche besagt, dass der beste Whisky der Welt ganz eindeutig "der nächste" sei.

In diesem Sinne: Slainté!

» Alle Whiskys aus dem Tasting in der Übersicht (pdf)