"Die sieben Gefährten"
Mit dem Tolkienstammtisch durch den Deister
Von Uli Hacke
Manchmal ist das Timing einfach zu perfekt: da plant man wochenlang eine Wanderung durch den Deister und erwischt dann prompt den zweitheißesten Tag des Jahres. Sieben Hannohirrim ließen sich davon aber nicht abschrecken. Seitdem haben sie vor Tolkiens Ringgefährten, bestehend aus neun Mitgliedern, wesentlich mehr Respekt als vorher.
Aber der Reihe nach. Der Deister zählt - auch wenn Niedersachen in anderen Teilen Deutschlands durchaus als Flachland verschrieben ist - zu den Mittelgebirgen und erstreckt sich südwestlich von Hannover und ist Teil des Calenberger Berglandes.
Er hat eine Ausdehnung von rund 89 Quadratkilometern und erreicht eine maximale Höhe von etwa 405 Metern. Der Deister ist vor allem für seine bewaldeten Hänge und seine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt bekannt. Hier wachsen unter anderem Buchen- und Eichenwälder, aber auch Tannen und Fichten. Also eine Gegend, in der sich Hobbits durchaus wohlgefühlt hätten. Tolkienesk lassen sich die sanft gewellten Hügel mit den Evendim-Bergen nördlich des Auenlandes vergleichen, die im Hinterland des Evendim-Sees (bei uns das Steinhuder Meer) liegen. Hier entspringt der Brandywein-Fluß.
Früher hätte man im Deister vermutlich auch Zwerge antreffen können, die - abenteuersuchend von Thal kommend - hier ab dem 16. Jhd. Steinkohle abgebaut hätten. Im Bereich des Bröhn, auf dessen höchstem Punkt das Ziel unserer Wanderung (der Annaturm) liegt, hatte 1807 ein gewisser Johann Egestorff die Schürfrechte erworben. Und nur vollkommen phantasielose Menschen finden die Ähnlichkeit seines Namens zum englischen dwarf (Zwerg) an den Haaren herbeigezogen. Zu Zeiten des Steinkohlebergbaus wurde übrigens auch die Blanke-Teich aufgestaut - heute ein idyllisches Fotomotiv, das natürlich auch wir genutzt haben und dessen gleich per WhatsApp verschickte Aufnahme dann auch zu den "Sieben Gefährten" der Überschrift geführt hat. Wenn der Teich nicht gar so schlammig und mit Wasserpflanzen zugedeckt wäre, könnte man ihn mit viel gutem Willen als Kheled-zâram, den zwergischen Spiegelsee, die Quelle des Silberlaufs durchgehen lassen.
Neben den Zwergen hätten aber auch Orks ihre helle Freude an den Wennigser Wasserrädern gehabt, lieben sie doch alles, was Räder hat und sich bewegt. Und das tun diese wunderbaren Mini-Mühlen seit Ende der 1950er Jahre. Der "Bastlergemeinschaft der Wennigser Wasserräder e.V." (gegründet 1977) kümmert sich mit viel Liebe zum Detail um Betreuung und Instandsetzung. Ein Schriftsteller ist bereits mit einem Modell gewürdigt: Michael Endes Lummerland - komplett mit zwei Gipfeln, Lukas (nebst Lok Emma), Jim Knopf, Frau Waas, Herrn Ärmel und König Alfons. dem Viertel-vor-Zwölften. Der Stapellauf des Titanic-Nachbaus auf dem oberen See (der ist immerhin 0,0005 ha groß) - das Schiff sollte nur im Sommer fahren, um nicht mit Eisbergen zusammenzustoßen, entpuppte sich 1970 leider doch als Aprilscherz.
Höhepunkt - ganz wörtlich zu nehmen - war dann der Annaturm, das beliebte Ausflugsziel und Wahrzeichen der Region. Der ursprüngliche hölzerne Turm wurde 1897 errichtet und ist nach Prinzessin Anna von Hannover benannt. 1975 wurde er durch einen neuen, etwa 20 Meter hohen Aussichtsturm aus Stahl ersetzt. Nach 118 Stufen reicht der Blick weit über den Deister, das Calenberger Land und sogar bis nach Hannover und zum Steinhuder Meer.
Die lange Rast hier war auch dringend nötig, denn bei Temperaturen um die 32 Grad war jeder Schatten und jeder noch so kleine Luftzug hochwillkommen. Außerdem gab es in der Wirtschaft oben eisgekühlte Getränke. Am Ende der Tour stehen knapp elf Kilometer auf den verschiedenen mitgeführten Uhren. Das klingt zunächst nach gar nicht viel, aber jeder Meter wurde bei den mörderischen (nicht "mordorischen") Temperaturen hart erkämpft. Umso mehr stieg unser Respekt für die Ringgemeinschaft, die monatelang quer durch Mittelerde zog, während wir schon nach ein paar Stunden reichlich durch waren. Aber ehrlich gesagt sind Aragorn, Boromir, Legolas und Gimli diesbezüglich auch Champions League - und wir allerhöchstens Kreisklasse.
Aber rechnen wir doch mal nach: die englische Meile, die Tolkien verwendet hat, misst 1.760 Yard oder 1.609,34 Meter. Ein Yard sind 3 Fuß oder 36 Zoll, was 91,44cm entspricht. Unsere elf Kilometer sind demnach 6,84 Meilen. Das ist immerhin weit mehr als die Hälfte der Etappe vom 30. September 3018, die die Hobbits gemeinsam mit Streicher von Bree bis zum westlichen Chetwald gegangen sind. Viermal so weit wie unsere Tour ging der Gewaltmarsch der Uruk-hai mit ihren Gefangenen Merry und Pippin von den südlichen Höhen Rohans bis an den Rand von Fangorn. Aber die hatten dank Saruman ja auch allen Grund zum Rennen.
Und in Sachen mittelerdischer Geographie haben wir im Deister immerhin fast ein Prozent des Nebelgebirges inklusive Angmar-Berge erwandert. Oder 0,8 Prozent des Weißen Gebirges. Da ist also noch Luft nach oben. Aber wir waren uns trotz des Schweißes einig: es war ein toller Tag und die nächste Wanderung kommt bestimmt.