Fanfiction als alternative Erzählkultur - ein Überblick

Vortrag zum Tolkien-Tag Hannover, 22./23. Oktober 2005 (erweitert)

Von Stephanie Dorer

Gesetze

Um zu verstehen, warum es im Rahmen der Fanfiction immer wieder heiße Diskussionen um das Urheberrecht gibt, ist es notwendig zu verstehen, was unter einem Werk, das diesem schützenden Gesetz unterliegt, verstanden wird. Ein Werk ist die persönliche, geistige Schöpfung eines Einzelnen, die durch ihren Inhalt oder durch ihre Form oder durch die Verbindung von beidem etwas Neues und Eigentümliches, Individuelles und Originales darstellt und das die Leser/Konsumenten durch seine Gedanken- und Gefühlswelt beeinflusst. Dazu gehören auch Bearbeitungen und Übersetzungen, Teile, Entwürfe und Vorlagen.

Je individueller ein Werk ist, desto größer ist sein Schutzumfang. Das bedeutet, dass das Werk nicht nur in seiner vorliegenden Form (nehmen wir hier den HdR), sondern auch in möglichen Abweichungen oder Nutzungen in nahezu identischer Form (also Fanfiction!) geschützt ist. Erst wenn diese Nutzung des Originalwerkes, das sogenannte "Verletzungsexemplar", erhebliche eigene, individuelle Züge aufweist, kann eine zulässige freie Benutzung angenommen werden.

Paragraph 24 des UrhG erläutert die freie Benutzung eines Werkes: "Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden."

Entscheidend für eine juristische Entscheidung ist hierbei der Einzelfall. Um als selbständig zu gelten, muss die sogenannte Schöpfungshöhe beachtet werden, das heißt, die eigenständigen, individuellen Züge des neuen Werkes müssen sich deutlich von denen des Originalwerkes abheben - das Originalwerk darf nur als Anregung dienen und seine Züge müssen hinter jenen des neuen Werkes deutlich verblassen. Zudem wird eine freie Benutzung des Originalwerkes umso schwieriger, je mehr Namen, Begriffe, Orte, Geschehnisse etc. geschützt sind. Denn je eigenartiger, je komplexer und umfangreicher ein Originalwerk ist, desto weniger lässt sich ein derivatives, darauf basierendes Werk als freie Benutzung bewerten.

Ein Beispiel hierfür ist Liane Wollenschlägers "Die dunkle Macht": als Fortsetzung des "Herrn der Ringe" wurde das Buch nicht nur angefochten, weil es die Schauplätze, Charaktere und speziellen Eigenheiten des Tolkien'schen Originals übernommen hatte, sondern es wurde offen zum Verkauf angeboten. Erst als Frau Wollenschläger sämtliche Verweise auf die Welt Tolkiens geändert hatte (nunmehr stark an die Edda angelehnt, auch wenn Parallelen zu erkennen sind) und somit die Eigenheiten des Originalwerkes hinter denen des derivativen/abgeleiteten Werkes verblassten, durfte sie ihr Buch verkaufen.

Fanfiction als eine Form der Nutzung des Originalwerkes, die Wert auf eine möglichst enge Kanon-Treue legt, ist demnach keinesfalls als selbständig zu betrachten. Dies ist ein Grund dafür, das sich bei sämtlichen Geschichten und/oder Archiven der sogenannte Disclaimer befindet, der festhält, dass die Rechte an der Geschichte, an den verwendeten Charakteren, Handlungselementen etc. bei Tolkien bzw. den Tolkien Estates liegen und diese Geschichten nicht zu kommerziellen Zwecken herangezogen werden dürfen.

Es hat im Rahmen dieser Betrachtungen zum Urheberrecht (Copyright) vor allem in den USA immer wieder Hinweise auf Probleme gegeben, die für die Autoren eines Originalwerkes durch Fanfiction entstehen können. Immer wieder wird auf finanzielle Einbußen der Autoren hingewiesen, die ihre schriftstellerische Tätigkeit als Einkommensquelle betreiben und fürchten, durch Fanfiction benachteiligt zu werden - aufgrund von Konkurrenz, möglichen Rechtsstreitigkeiten, Missinterpretation des eigenen Werkes durch oder aufgrund von Fanfiction.

Einen Aufsehen erregenden Fall gab es 1992 um Marion Zimmer Bradley, die ihre Fans stets dazu animiert hatte, ihre Fanfiction-Geschichten an sie einzuschicken und eventuell in den zahlreichen Anthologien veröffentlicht zu sehen. Eine Autorin, deren Geschichte abgelehnt worden war, meinte ihre eigenen Ideen in einer Vorankündigung eines noch nicht erschienen Romans der Serie "Darkover" wiederzuerkennen und verklagte Marion Zimmer Bradley auf Beteiligung am Umsatz, woraufhin das Erscheinen des Buches verhindert wurde. Es ist nicht klar, ob die Anschuldigungen stimmten oder nicht; Fazit dieses Streites war jedoch, dass Marion Zimmer Bradley die Anthologien einstellte, das vorbereitete Buch nicht erschien und sämtliche weitere Fanfiction zu ihren Romanen untersagt wurde.

Viele Autoren sind daraufhin dazu übergegangen, grundsätzlich Fanfiction zu ihren Werken zu verbieten oder aber Bereiche zuzulassen, in denen registrierte Fans ihre, nach vorgegebenen Regeln geschriebenen Geschichten einsenden können. Darüber hinaus hat es Empfehlungen von Anwälten an die Autoren gegeben, keine Fanfiction zu lesen, um nicht Gefahr zu laufen, des Plagiats beschuldigt zu werden.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Gesetz liegt darin, dass ein derivatives Werk in Deutschland je nach Schöpfungshöhe einen eigenen Urheberrechtsschutz erhalten kann, so zum Beispiel eine Collage aus verschiedenen urheberrechtlichen Werken. In den USA gehört auch ein derivatives Werk rein rechtlich dem Inhaber des Copyright.

In Bezug auf die Fanfiction im Bereich der Werke Tolkiens sollte uns bewusst sein, dass wir innerhalb einer rechtlichen Grauzone schreiben und im Internet veröffentlichen. Mir ist kein Fall bekannt, in dem die Tolkien Estates bzw. ihre Rechtsvertreter gegen Fanfiction an sich oder entsprechende Archive vorgegangen sind. Das bedeutet jedoch nicht, dass uns ein Recht in irgendwelcher Form abgetreten wird. Fanfiction wird stillschweigend geduldet - nicht zuletzt bedeutet sie auch ein gewisses Maß an Werbung -, jegliche kommerzielle Nutzung aber wird juristisch verfolgt und belangt werden.